Umlaufverfahren in der WEG: Gericht stoppt Blanko-Beschlüsse
Wenn Bauvorhaben ins Stocken geraten
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft stand vor einem bekannten Problem: Der Bau der Tiefgarage war nicht abgeschlossen, und es mussten dringend weitere Entscheidungen getroffen werden. Um nicht ständig Eigentümerversammlungen einberufen zu müssen, fassten die Eigentümer einen Beschluss. Dieser sollte es ermöglichen, alle künftigen Entscheidungen zur Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums im schriftlichen Umlaufverfahren zu treffen. Der Beschluss lautete sinngemäß: Für die Dauer der Fertigstellungsphase dürfen alle dringend notwendigen Entscheidungen zu bauaufsichtsrechtlichen Vorschriften und Baumaßnahmen im Umlaufverfahren beschlossen werden.
Auf dieser Grundlage beschloss die Eigentümergemeinschaft dann im Umlaufverfahren eine Sonderumlage zur Fertigstellung der Tiefgarage. Die betroffenen Eigentümer sollten jeweils einen bestimmten Betrag zahlen. Ein Eigentümer war damit nicht einverstanden und focht den Beschluss an.
Das Umlaufverfahren und seine Voraussetzungen
Normalerweise müssen Beschlüsse in einer Wohnungseigentümergemeinschaft in einer Versammlung gefasst werden. Dort können die Eigentümer diskutieren, Fragen stellen und sich austauschen. Das Gesetz kennt aber auch das sogenannte Umlaufverfahren. Dabei werden Beschlüsse schriftlich gefasst, ohne dass eine Versammlung stattfindet. Das kann Zeit und Aufwand sparen.
Allerdings gibt es strenge Voraussetzungen: Ein Umlaufbeschluss ist nur gültig, wenn entweder alle Eigentümer zustimmen oder wenn zuvor ein sogenannter Absenkungsbeschluss gefasst wurde. Dieser Absenkungsbeschluss muss in einer regulären Eigentümerversammlung beschlossen werden und festlegen, dass ein konkreter Gegenstand im Umlaufverfahren mit einfacher Mehrheit entschieden werden darf.
Die entscheidende Frage in diesem Fall war: Reicht ein allgemeiner Absenkungsbeschluss für einen ganzen Themenbereich aus, oder muss jeder einzelne Beschlussgegenstand vorher konkret benannt werden?
Die zentrale Streitfrage vor Gericht
Der Streit drehte sich um die Reichweite des Absenkungsbeschlusses. Die Eigentümergemeinschaft argumentierte, der Beschluss habe alle Entscheidungen zur Baufertigstellung umfasst, also auch die Sonderumlage. Der klagende Eigentümer sah das anders: Der Absenkungsbeschluss sei viel zu allgemein formuliert gewesen und habe nicht konkret eine Sonderumlage oder deren Verteilung erlaubt.
Das Amtsgericht hatte zunächst die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben, weil Zeugen zu hören seien. Dagegen legte der Kläger Beschwerde ein, die das Landgericht Frankfurt am Main entscheiden musste.
So entschied das Gericht
Das Landgericht gab dem klagenden Eigentümer recht und stellte klar: Der Absenkungsbeschluss war zu weitreichend und konnte die spätere Beschlussfassung nicht rechtfertigen. Die Richter betonten, dass Absenkungsbeschlüsse objektiv-normativ auszulegen seien. Das bedeutet, dass man sich am Wortlaut des Beschlusses orientieren muss und nur das beschließen darf, was dort auch tatsächlich steht.
Der ursprüngliche Absenkungsbeschluss sprach lediglich von bauaufsichtsrechtlichen Vorschriften und dringend zu beauftragenden Maßnahmen. Von einer Sonderumlage oder einer besonderen Kostenverteilung war darin keine Rede. Das Gericht führte aus, dass eine objektiv-normative Auslegung bedeute, dass im Grundsatz vom Wortlaut auszugehen sei. Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürften nur herangezogen werden, wenn sie für jedermann ohne weiteres erkennbar seien.
Im Wortlaut des Absenkungsbeschlusses fand sich nicht einmal ein Hinweis darauf, dass eine Sonderumlage erhoben oder die Kostenverteilung geändert werden könne. Der Beschluss sprach objektiv betrachtet nur davon, dass dringend erforderliche Baumaßnahmen im Umlaufverfahren beschlossen werden könnten. Eine Regelung über die Kosten enthielt er nicht.
Keine Blanko-Vollmachten für Umlaufbeschlüsse
Besonders deutlich wurde das Gericht in einem weiteren Punkt: Der Absenkungsbeschluss war grundsätzlich zu weit gefasst. Die Eigentümergemeinschaft hatte versucht, für einen gesamten Themenbereich pauschal Umlaufbeschlüsse zu ermöglichen. Das Gericht stellte klar, dass dies nicht zulässig ist.
Nach dem Wohnungseigentumsgesetz kann ein Absenkungsbeschluss nur für einen einzelnen Gegenstand gefasst werden. Was genau unter einem einzelnen Gegenstand zu verstehen ist, wird zwar in der Rechtsliteratur unterschiedlich diskutiert. Einigkeit besteht aber darin, dass der Anwendungsbereich überschritten ist, wenn mehrere Beschlussgegenstände im Wege des Umlaufverfahrens beschlossen werden sollen.
Der vorliegende Fall unterschied sich deutlich von Konstellationen, die in der Fachliteratur diskutiert werden. Dort geht es typischerweise um konkrete einzelne Bauvorhaben, die eventuell mehrere Teilbeschlüsse erfordern, etwa die Umstellung eines Internetanschlusses auf Glasfaser. Hier sollte aber generell für ein bestimmtes Thema, nämlich die gesamte Fertigstellung des stockenden Baus, im Umlaufverfahren beschlossen werden können. Eine solch weite Beschlusskompetenz für Umlaufbeschlüsse besteht jedoch nicht.
Das Gericht betonte: Eine sachliche Beschränkung war weder durch die dringende Notwendigkeit der Entscheidung noch durch die Bezugnahme auf baurechtliche Vorschriften gegeben. Vielmehr sollte eine Art Blanko-Vollmacht für eine unbestimmte Vielzahl künftiger Beschlüsse erteilt werden.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Diese Entscheidung hat wichtige praktische Konsequenzen für Wohnungseigentümergemeinschaften. Wenn Sie Beschlüsse im Umlaufverfahren fassen wollen, ohne dass alle Eigentümer zustimmen, müssen Sie sehr genau vorgehen.
Konkret heißt das: Sie können nicht einfach beschließen, dass künftig alle Entscheidungen zu einem bestimmten Projekt oder Themenbereich im Umlaufverfahren getroffen werden dürfen. Stattdessen muss für jeden einzelnen Beschlussgegenstand vorab in einer Eigentümerversammlung ein eigener Absenkungsbeschluss gefasst werden. Dieser muss konkret benennen, worüber im Umlaufverfahren entschieden werden soll.
Für Bauvorhaben bedeutet das: Wenn Sie etwa eine Fassadensanierung durchführen wollen und mehrere Teilentscheidungen anstehen, müssen Sie entweder für jede Teilentscheidung einen eigenen Absenkungsbeschluss fassen oder die Entscheidungen in regulären Eigentümerversammlungen treffen. Ein pauschaler Beschluss nach dem Motto "Alle Entscheidungen zur Fassadensanierung können im Umlaufverfahren getroffen werden" reicht nicht aus.
Achten Sie daher auf eine präzise Formulierung: Der Absenkungsbeschluss sollte möglichst genau beschreiben, welcher konkrete Sachverhalt im Umlaufverfahren beschlossen werden soll. Allgemeine Formulierungen wie "alle dringenden Entscheidungen" oder "alle Maßnahmen zu einem Thema" sind zu unbestimmt und unwirksam.
Für die Praxis empfiehlt sich folgendes Vorgehen: Überlegen Sie sich bereits in der Eigentümerversammlung, welche konkreten Entscheidungen voraussichtlich im Umlaufverfahren getroffen werden sollen. Formulieren Sie dann für jede dieser Entscheidungen einen eigenen, präzisen Absenkungsbeschluss. Das mag aufwendiger erscheinen, vermeidet aber spätere rechtliche Auseinandersetzungen.
Das Urteil zeigt auch: Wenn Sie als Eigentümer Zweifel an der Wirksamkeit eines Umlaufbeschlusses haben, lohnt es sich, die Grundlage genau zu prüfen. War der Absenkungsbeschluss ausreichend konkret? Deckt er den späteren Umlaufbeschluss wirklich ab? Im Zweifel sollten Sie rechtlichen Rat einholen und gegebenenfalls Anfechtungsklage erheben.
Grundsätze des Urteils
- Ein Absenkungsbeschluss für Umlaufverfahren darf nur einen einzelnen konkreten Gegenstand betreffen, nicht pauschal einen gesamten Themenbereich
- Absenkungsbeschlüsse sind objektiv-normativ auszulegen; maßgeblich ist der Wortlaut, nicht außerhalb des Protokolls liegende Umstände
- Blanko-Vollmachten für eine unbestimmte Vielzahl künftiger Beschlüsse im Umlaufverfahren sind unzulässig
- Ein Absenkungsbeschluss, der nicht ausdrücklich eine Sonderumlage oder Kostenverteilung erwähnt, rechtfertigt keine entsprechenden Umlaufbeschlüsse
- Für jede im Umlaufverfahren zu treffende Entscheidung muss in der Eigentümerversammlung ein eigener, präziser Absenkungsbeschluss gefasst werden
Quelle
Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.08.2025, Az. 2-13 T 56/25, vorhergehend AG Wiesbaden, 30.05.2025 - 915 C 4045/24
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