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WEG-Recht: Mehrheitsentscheidungen bei Kostenaufteilung

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Haben Wohnungseigentümer die Kostenverteilung wirksam geändert, können nachfolgende Abrechnungen nicht mehr angefochten werden. Dies gilt auch gegen den Willen bisher privilegierter Eigentümer.
Abstimmung in einer Versammlung, einige Personen heben die Hand
Symbolbild: KI-generiertes Bild

Der Fall aus Berlin zeigt typische WEG-Probleme

In einer Berliner Wohnungseigentumsgemeinschaft sorgte ein nicht fertiggestellter Dachausbau für jahrelangen Streit. Die ursprüngliche Teilungserklärung enthielt eine besondere Regelung: Der Eigentümer der nicht ausgebauten Dachgeschossflächen sollte weder Hausgeld noch Beiträge zur Instandhaltungsrücklage zahlen, bis seine Einheit an die Versorgungsleitungen angeschlossen ist.

Diese scheinbar faire Regelung entwickelte sich jedoch zum Problem. Die ursprüngliche Dachgeschosseinheit wurde nämlich später in sechzehn separate Wohneinheiten aufgeteilt. Laut Bauträgervertrag sollten diese bis Februar 2020 fertiggestellt werden. Doch auch Jahre später blieben sowohl der Ausbau als auch der Anschluss an die Versorgungsleitungen unvollendet.

Eigentümer greifen zur Selbsthilfe

Die Geduld der übrigen Wohnungseigentümer war irgendwann erschöpft. In einer Eigentümerversammlung im Juni 2021 fassten sie einen weitreichenden Beschluss: Die bisherige Kostenbefreiung sollte abgeschafft werden. Stattdessen sollten nun alle Eigentümer die betroffenen Kosten nach ihren Miteigentumsanteilen tragen.

Dieser Beschluss wurde nicht angefochten und damit bestandskräftig. Als die neuen Eigentümer einer der Dachgeschosswohnungen im Januar 2022 ihre Immobilie erwarben, galten für sie bereits die geänderten Regeln.

In der nächsten Eigentümerversammlung im Juli 2022 wurde dann der Wirtschaftsplan für das laufende Jahr beschlossen. Dabei wendeten die Eigentümer konsequent den neuen Kostenverteilungsschlüssel an. Zusätzlich beschlossen sie eine Sonderumlage, die ebenfalls nach Miteigentumsanteilen aufgeteilt wurde.

Der Rechtsstreit beginnt

Die betroffenen Dachgeschoss-Eigentümer wollten das nicht akzeptieren. Sie erhoben Anfechtungsklage gegen die Beschlüsse vom Juli 2022. Ihre Argumentation: Die ursprüngliche Teilungserklärung befreie sie von den Kosten, solange der Anschluss an die Versorgungsleitungen nicht erfolgt sei. Diese Befreiung bestehe weiterhin.

Das Amtsgericht Berlin-Schöneberg wies die Klage ab. Die Richter sahen die Sache klar: Die Kostenverteilung sei wirksam geändert worden, die nachfolgenden Beschlüsse daher rechtmäßig.

Das Landgericht Berlin sah das jedoch anders. In zweiter Instanz erklärten die Richter die angefochtenen Beschlüsse für ungültig. Ihrer Ansicht nach hätten die Wohnungseigentümer gar nicht die Kompetenz gehabt, die ursprüngliche Kostenbefreiung abzuschaffen.

BGH schafft endgültige Klarheit

Der Bundesgerichtshof korrigierte diese Entscheidung grundlegend. Die Karlsruher Richter stellten klar: Die Wohnungseigentümer hatten sehr wohl die Befugnis, die Kostenverteilung zu ändern.

Grundlage für diese Kompetenz ist Paragraph 16 Absatz 2 Satz 2 des Wohnungseigentumsgesetzes. Diese Vorschrift, die durch die WEG-Reform 2020 eingeführt wurde, erlaubt es den Eigentümern ausdrücklich, vereinbarte Kostenverteilungen durch Mehrheitsbeschluss zu ändern.

Dabei macht es keinen Unterschied, ob durch die Änderung einzelne Eigentümer erstmals mit Kosten belastet werden. Das Gesetz zielt gerade darauf ab, solche Änderungen zu ermöglichen - auch gegen den Willen der bisher Privilegierten.

WEG-Reform stärkt Flexibilität

Die Entscheidung zeigt die Auswirkungen der Wohnungseigentumsrechts-Reform von 2020. Der Gesetzgeber wollte den Wohnungseigentümergemeinschaften mehr Flexibilität bei der Kostenverteilung geben. Früher waren solche Änderungen oft nur schwer oder gar nicht möglich.

Die neue gesetzliche Öffnungsklausel ermöglicht es nun, veraltete oder ungerecht gewordene Kostenregelungen anzupassen. Dies entspricht dem praktischen Bedürfnis vieler Wohnungseigentumsgemeinschaften, ihre Kostentragung an veränderte Umstände anzupassen.

Besonders wichtig: Die Reform gilt auch für Kostenregelungen, die vor 2020 vereinbart wurden. Übergangsbestimmungen für Altvereinbarungen hat der Gesetzgeber bewusst nicht vorgesehen.

Bestandskraft verhindert nachträgliche Anfechtungen

Ein weiterer zentraler Punkt der BGH-Entscheidung betrifft die Bestandskraft von Beschlüssen. Ist ein Beschluss über die Änderung der Kostenverteilung einmal bestandskräftig geworden, müssen nachfolgende Wirtschaftspläne und Abrechnungen diesen neuen Verteilungsschlüssel anwenden.

Die Eigentümer können dann nicht mehr die späteren Beschlüsse angreifen und dabei argumentieren, der ursprüngliche Änderungsbeschluss sei unwirksam gewesen. Wer einen Kostenverteilungsbeschluss für rechtswidrig hält, muss diesen unmittelbar angreifen - nicht erst die darauf basierenden Folgebeschlüsse.

Diese Regel schafft Rechtssicherheit und verhindert, dass alte Streitigkeiten immer wieder aufbrechen. Gleichzeitig zwingt sie die Eigentümer, rechtliche Einwände zeitnah zu erheben.

Grenzen der Beschlusskompetenz

Trotz der weitreichenden Befugnisse gibt es Grenzen. Beschlüsse über Kostenverteilungsänderungen können nichtig sein, wenn sie gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen. Auch eine Anfechtung wegen ordnungswidriger Verwaltung bleibt möglich.

Der BGH stellte jedoch klar: Eine materielle Inhaltskontrolle findet grundsätzlich nur im Rahmen einer Anfechtungsklage statt. Die gesetzliche Öffnungsklausel gewährt den Eigentümern bewusst weite Gestaltungsmöglichkeiten.

Praktische Auswirkungen für Eigentümergemeinschaften

Die Entscheidung hat erhebliche praktische Bedeutung für Wohnungseigentümergemeinschaften. Bestehende Kostenprivilegien einzelner Eigentümer können nun leichter durch Mehrheitsbeschluss beseitigt werden. Dies betrifft etwa:

  • Befreiungen von bestimmten Kostenarten
  • Reduzierte Kostenbeteiligungen aufgrund besonderer Umstände
  • Pauschale Kostenverteilungen, die sich als ungerecht herausstellen

Für die Praxis bedeutet dies: Eigentümer, die von einer geplanten Kostenumverteilung betroffen sind, sollten den entsprechenden Beschluss unmittelbar angreifen. Warten sie ab und fechten erst später darauf basierende Wirtschaftspläne oder Sonderumlagen an, haben sie schlechte Karten.

Bedeutung für laufende Verfahren

Viele Wohnungseigentümergemeinschaften dürften ähnliche Probleme haben wie die Berliner Gemeinschaft. Nicht fertiggestellte Ausbauten, verzögerte Erschließungen oder andere Sonderkonstellationen führen oft zu Kostenstreitigkeiten.

Die BGH-Entscheidung zeigt den Weg auf, wie solche Probleme gelöst werden können. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass einmal gefasste und bestandskräftige Beschlüsse nicht mehr über Umwege angegriffen werden können.

Was bedeutet das Urteil für Sie?

Als Wohnungseigentümer sollten Sie folgende Punkte beachten:

Wenn in Ihrer Eigentümerversammlung über Änderungen der Kostenverteilung diskutiert wird, prüfen Sie sorgfältig, ob Sie betroffen sind. Halten Sie einen entsprechenden Beschluss für rechtswidrig, müssen Sie diesen unmittelbar anfechten. Eine spätere Anfechtung von Wirtschaftsplänen oder Abrechnungen ist in der Regel nicht erfolgreich.

Lassen Sie sich nicht von scheinbar unveränderlichen Regelungen in der Teilungserklärung täuschen. Seit der WEG-Reform 2020 können auch langjährig bestehende Kostenverteilungen durch Mehrheitsbeschluss geändert werden.

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Sie eine Wohnung in einer Anlage mit Besonderheiten kaufen - etwa nicht fertiggestellten Bereichen oder speziellen Kostenregelungen. Erkundigen Sie sich vorab, ob Änderungen der Kostenverteilung geplant oder bereits beschlossen wurden.

Die Entscheidung des BGH schafft Klarheit in einem wichtigen Bereich des Wohnungseigentumsrechts. Sie stärkt die Handlungsfähigkeit der Eigentümergemeinschaften, verlangt aber von den einzelnen Eigentümern eine aufmerksame Verfolgung der Beschlussfassung. Nur wer rechtzeitig handelt, kann seine Interessen erfolgreich durchsetzen.


Quelle: BGH, Urteil vom 15. November 2024, Az. V ZR 239/23

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