Wohnfläche zu klein: Keine Überprüfungspflicht für Vermieter
Der Streitfall: Wenn Quadratmeter fehlen
Eine Mieterin hatte Zweifel an der im Mietvertrag angegebenen Wohnfläche ihrer Berliner Wohnung. Um Klarheit zu schaffen, leitete sie ein selbstständiges Beweisverfahren ein und ließ durch einen Sachverständigen die tatsächliche Wohnfläche ermitteln. Das Gutachten kam zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Wohnung war messbar kleiner als vertraglich vereinbart. Die Abweichung betrug mehrere Quadratmeter.
Mit diesem Gutachten in der Hand forderte die Mieterin von ihrem Vermieter zweierlei: Erstens sollte er schriftlich anerkennen, dass die tatsächliche Wohnfläche für alle künftigen Mieterhöhungen und Nebenkostenabrechnungen maßgeblich sei. Zweitens sollte er die Kosten für das Gutachten und das Beweisverfahren übernehmen, die sich auf über eintausendfünfhundert Euro beliefen.
Der Vermieter sah sich jedoch nicht in der Pflicht. Er weigerte sich sowohl, eine entsprechende Erklärung abzugeben, als auch die Verfahrenskosten zu tragen. Die Mieterin zog daraufhin vor Gericht.
Erste Instanz: Klage wird abgewiesen
Das Amtsgericht Charlottenburg wies die Klage vollständig ab. Die Mieterin legte Berufung ein und trug ihre Argumente dem Landgericht Berlin vor. Sie argumentierte, dass der Vermieter aufgrund der nachgewiesenen Wohnflächenabweichung verpflichtet sei, die korrekte Fläche anzuerkennen. Zudem müsse er die Kosten des Beweisverfahrens übernehmen, da das Gutachten seine Fehler aufgedeckt habe.
Die zentrale Rechtsfrage: Welche Pflichten treffen den Vermieter?
Muss der Vermieter die gutachterlich ermittelte Wohnfläche anerkennen?
Das Gericht stellte klar, dass ein selbstständiges Beweisverfahren die strittigen Tatsachen nicht verbindlich feststellt. Es handelt sich lediglich um eine Beweisaufnahme, deren Ergebnisse später in einem Hauptverfahren bewertet werden müssen. Eine Beweiswürdigung findet im selbstständigen Beweisverfahren selbst nicht statt. Der Vermieter ist daher nicht verpflichtet, das Gutachtenergebnis anzuerkennen, nur weil es vorliegt.
Das Landgericht führte aus, dass es keine vertragliche Pflicht des Vermieters gibt, die im Mietvertrag zugrunde gelegte Wohnfläche aufgrund der Bedenken einer Mieterin zu überprüfen oder gar zu erklären, dass er künftig bei Abrechnungen eine geringere Wohnfläche zugrunde legen werde. Das Mietverhältnis begründet keine solche Nebenpflicht.
Besteht eine Auskunftspflicht über die korrekte Wohnfläche?
Auch eine allgemeine Auskunftspflicht des Vermieters verneinte das Gericht. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt keine generelle Auskunftspflicht. Auskunft wird nur geschuldet, wenn sich dies unmittelbar aus dem Gesetz, aus einem Vertrag oder aus einer sonstigen Sonderrechtsbeziehung ergibt.
Selbst wenn man aus dem Mietverhältnis eine Nebenpflicht zur Auskunftserteilung ableiten wollte, würde diese sich nur auf unschwer zu erteilende Auskünfte beziehen. Gemeint sind Informationen über Umstände, die dem Vermieter ohnehin bekannt sind. Ein Anspruch auf Vermessung der Wohnung durch einen Sachverständigen ist darin jedenfalls nicht enthalten.
Das Gericht betonte, dass auch in einem laufenden Vertragsverhältnis kein allgemeiner Anspruch besteht, dass eine Partei zugeben muss, sie habe sich in der Vergangenheit nicht vollständig rechtskonform verhalten.
Kostenerstattung: Kein Anspruch der Mieterin
Besonders wichtig war die Frage der Kostenerstattung. Die Mieterin hatte argumentiert, dass der Vermieter die Verfahrenskosten tragen müsse, weil das Gutachten ihre Behauptung bestätigt habe. Das Gericht widersprach dieser Auffassung deutlich.
Für eine Kostenerstattung hätte die Mieterin nachweisen müssen, dass sie ein konkretes Hauptsacheverfahren mit Aussicht auf Erfolg hätte führen können, das durch das selbstständige Beweisverfahren überflüssig geworden wäre. Daran fehlte es jedoch. Die Mieterin konnte kein solches Verfahren benennen, denn der Vermieter war weder verpflichtet, die Wohnfläche zu überprüfen, noch musste er Auskunft erteilen oder eine Erklärung für künftige Abrechnungen abgeben.
Das Landgericht verwies darauf, dass bei Streitigkeiten über die Wohnfläche die Verteilung der Beweislast erst in einem konkreten Hauptverfahren relevant wird. Beispielsweise trägt der Vermieter die Darlegungs- und Beweislast für die Wohnfläche, wenn er eine Betriebskostennachforderung erhebt. Dies betrifft jedoch nur innerprozessuale Fragen und begründet keine vorgerichtliche Pflicht zur Gutachtenerstellung.
Die Mieterin hatte auch versucht, einen Schadenersatzanspruch geltend zu machen. Doch auch dies scheiterte, da keine Pflichtverletzung des Vermieters ersichtlich war. Die bloße Angabe einer möglicherweise überhöhten Wohnfläche im Mietvertrag begründet ohne weiteren konkreten Vortrag zu fehlerhaften Abrechnungen oder Mieterhöhungen keinen Schadenersatzanspruch.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Landgericht Berlin wies die Berufung der Mieterin zurück und bestätigte damit das erstinstanzliche Urteil. Die Klage blieb sowohl im Hauptantrag als auch im Hilfsantrag erfolglos. Die Mieterin muss die Kosten des Beweisverfahrens selbst tragen.
Das Gericht stellte aber auch klar: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens hatte durchaus bestanden. Die Klärung der tatsächlichen Wohnfläche kann dazu beitragen, zukünftige Rechtsstreitigkeiten um Mieterhöhungen oder Nebenkostenabrechnungen zu vermeiden. Dies rechtfertigt die Durchführung eines solchen Verfahrens, auch wenn die Wohnflächendifferenz nicht erheblich erscheint.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Für Mieter:
Wenn Sie Zweifel an der im Mietvertrag angegebenen Wohnfläche haben, können Sie diese durch ein selbstständiges Beweisverfahren überprüfen lassen. Dieses Verfahren ist grundsätzlich zulässig und kann sinnvoll sein, um künftige Streitigkeiten zu vermeiden. Allerdings müssen Sie zunächst die Kosten selbst tragen.
Eine Erstattung der Verfahrenskosten durch den Vermieter setzt voraus, dass Sie ein konkretes Hauptsacheverfahren führen, in dem die Wohnfläche relevant ist. Dies kann beispielsweise ein Prozess um eine überhöhte Mieterhöhung oder eine fehlerhafte Nebenkostenabrechnung sein. Wenn Sie in einem solchen Verfahren erfolgreich sind, können die Kosten des Beweisverfahrens als Rechtsverfolgungskosten erstattet werden.
Der Vermieter ist nicht verpflichtet, aufgrund Ihrer Bedenken die Wohnfläche selbst überprüfen zu lassen oder eine geringere Wohnfläche für künftige Abrechnungen anzuerkennen. Sie müssen bei konkreten Abrechnungen oder Mieterhöhungen die Angaben des Vermieters bestreiten und gegebenenfalls gerichtlich dagegen vorgehen.
Für Vermieter:
Sie sind nicht verpflichtet, auf Verlangen des Mieters die Wohnfläche überprüfen zu lassen oder ein Gutachten zu erstellen. Auch eine allgemeine Auskunftspflicht über die korrekte Wohnfläche besteht nicht. Sie müssen nicht anerkennen, dass eine vom Mieter ermittelte Wohnfläche für künftige Abrechnungen maßgeblich sein soll.
Allerdings sollten Sie beachten, dass in konkreten Verfahren um Mieterhöhungen oder Nebenkostenabrechnungen die Beweislast für die Wohnfläche bei Ihnen liegt. Wenn der Mieter die im Mietvertrag angegebene Fläche substantiiert bestreitet und ein Gutachten vorlegt, müssen Sie im Prozess darlegen und beweisen, dass Ihre Flächenangabe korrekt ist.
Praktischer Rat:
Wenn eine Wohnflächenabweichung nachgewiesen ist, kann es im Einzelfall sinnvoll sein, eine einvernehmliche Lösung zu suchen. Eine Anpassung der Miete entsprechend der tatsächlichen Wohnfläche oder eine Vereinbarung über künftige Abrechnungen kann langwierige und kostspielige Gerichtsverfahren vermeiden. Das Urteil zeigt jedoch, dass ohne konkreten Anlass kein Partner zur Überprüfung oder Anerkennung gezwungen werden kann.
Grundsätze des Urteils
- Außergerichtliches Beweisverfahren stellt strittige Tatsachen nicht verbindlich fest; Vermieter nicht zur Anerkennung des Gutachtenergebnisses verpflichtet
- Mietverhältnis begründet keine Nebenpflicht des Vermieters zur Überprüfung oder Erklärung abweichender Wohnfläche für künftige Abrechnungen
- Keine allgemeine Auskunftspflicht des Vermieters über korrekte Wohnfläche; Auskunft nur bei gesetzlicher, vertraglicher oder sonstiger Sonderrechtsbeziehung
- Kostenerstattung für selbstständiges Beweisverfahren setzt voraus, dass konkretes Hauptsacheverfahren mit Erfolgsaussicht überflüssig wurde
- Angabe möglicherweise überhöhter Wohnfläche im Mietvertrag begründet ohne konkrete fehlerhafte Abrechnungen keinen Schadenersatzanspruch
Quelle: Landgericht Berlin II, Beschluss vom 30.04.2025, Az. 64 S 85/23
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